Chlorid
ÜbersichtFunktion am Herzen
Pathophysiologie und Pharmakologie
Übersicht
Einführung
Im Kapitel Herzaktion wurden die Grundlagen der Elektrophysiologie des Herzens erläutert. Chloridkanäle wurden jedoch nicht erwähnt.
Daher muss zunächst die Frage gestellt werden: Besitzt das Herz überhaupt Chloridkanäle?
Die Antwort lautet: Ja, aber ihre Wirkung am gesunden Herzen ist marginal.
Bedeutung von Chloridkanälen
In Tierexperimenten ließ sich eine Vielzahl an Chloridkanälen nachweisen. Zu diesen gehören bspw. iCl(PKA), iCl(PKC), iCl(ATP), aber auch iCl(swell) oder iCl(acid). Die Kanäle werden durch die in Klammern genannten Stoffe oder Zustände aktiviert, also bspw. stark aktive PKA (Proteinkinase A), PKC (Proteinkinase C), hoher ATP-Spiegel oder auch geschwollene Zellen sowie ein erniedrigter pH-Wert.
Im gesunden Herzen spielen derartige Zustände keine Rolle, die Kanäle sind nicht aktiv.
Exkurs:
Der bei Mukoviszidose (zystische Fibrose) defekte CFTR-Kanal ließ sich auch im Herzen nachweisen. Er vermittelt die Ströme iCl(PKA), iCl(PKC) und iCl(ATP). Dennoch ist die Mukoviszidose primär keine Herzerkrankung, ein Befall des Herzens ist allenfalls eine sekundäre Pathologie als hämodynamische Reaktion auf die bei Mukoviszidose vorkommende COPD. Offenbar sind die CFTR-Kanäle im gesunden Herzen geschlossen.
iCl(PKA) kann auch durch übermäßige Sympathikusaktivierung geöffnet werden. Das bedeutet, dass bei einer jeden akuten oder chronischen Sympathikusaktivierung (z.B. bei chronischer Herzinsuffizienz) diese Kanäle öffnen. Das aktuelle Membranpotential wird dann in Richtung ECl verschoben. Die Erregbarkeit erhöht sich und Extrasystolen können vermehrt auftreten.
Zudem kommt es zur Zunahme repolarisierender Ströme, die das Aktionspotential verkürzen. Der Grund: In der Plateauphase des Aktionspotentials halten sich depolarisierende (Na+ und Ca++) und repolarisierende Ströme (K+ und Cl-) die Waage. Nehmen letztere zu, beschleunigt das die Repolarisation und verkürzt das Aktionspotential.
Dies kann zu Reentry-Tachykardien und ggf. Kammerflimmern führen.
Außerdem, sofern ECl positiver ist als das normal maximale diastolische Potential, aber negativer als das KMP (kritisches Membranpotential = Schwellenpotential) der Sinusknotenzellen, verschiebt sich das MDP in Richtung KMP, und es kommt zur Tachykardie.
ICl(Ca) ist möglicherweise an der partiellen Repolarisation beteiligt.
Kalium- und Chloridströme wirken während des Aktionspotentials agonistisch. Fällt ein Strom aus, kann dies durch den jeweils anderen z.T. ausgeglichen werden.
Wirkung von Chlorikanälen
Im gesunden Herzen, d.h. ohne die oben genannten pathologischen Zustände (Ischämie, Hypertrophie, Dilatation, Insuffizienz usw.), sind Chloridkanäle vermutlich funktionell überwiegend unbedeutend bzw. ohnehin geschlossen, die Leitfähigkeit gCl ist sehr viel niedriger als gK.
Liegen jedoch pathologische Zustände vor, so kann es zur Kalziumüberladung, Dehnung, Zellvergrößerung oder Entzündung kommen, wodurch die entsprechenden Chloridkanäle öffnen können. Die Leitfähigkeit gCl steigt an und nähert sich der Leitfähigkeit gK an - es kommt zur Depolarisation, die funktionell als Vordepolarisation zu sehen ist und die Erregbarkeit der Zellen des Arbeitsmyokards erhöht. Das ermöglicht die Ausbildung von Extrasystolen, späten Nachpotentialen und bedingt ggf. tachykarde Arrhythmien bis hin zum Kammerflimmern.
Eine solche Vordepolarisation vermindert jedoch auch die Aktivierbarkeit der schnellen Natriumkanäle, was den Aufstrich des Aktionspotentials und damit die Fortpflanzungsgeschwindigkeit verlangsamt. Letzteres wiederum erhöht das Risiko von Reentry-Tachykardien, die ebenfalls zum Kammerflimmern führen können.
Chloridkanäle können sich während des Aktionspotentials öffnen (z.B. ICl(Ca)) oder auch darüber hinaus offen bleiben (z.B. ICl(swell), ICl(vol), ICl(PKA) und damit das Aktionspotential verkürzen. Im gesunden Myokard ist dieser Effekt funktionell unbedeutend und wird von der Wirkung repolarisierender Kaliumströme quantitativ überdeckt, im kranken Herzen kann die Wirkung hingegen erheblich sein. Solange nicht übermäßig, trägt sie zur Schonung des Herzens durch Senkung der Herzarbeit bei.
Nimmt sie jedoch Überhand, besteht die Gefahr eines Short-QT-Syndroms mit Reentry-Tachykardie durch zu kurzes Aktionspotential. Sie kann in ein Kammerflimmern degenerieren.
Exkurs:
Bei Azidose kann es zur Öffnung von ICl(acid) kommen, sodass sich das Aktionspotential der Arbeitsmyokardzellen verkürzt. Das ist jedoch keineswegs immer der Fall. Ansonsten würde jeder Patient mit einer Azidose auch ein Herzproblem haben. Vielmehr ist hier die genetische Disposition entscheidend: Kanalpolymorphismen, die schon normalerweise vorkommen, können so beschaffen sein, dass jemand, der ein Short-QT hat, auch tatsächlich ein Short-QT-Syndrom erleiden kann.
Funktion am Herzen
Arbeitsmyokard, Erregungsbildungs- und -leitungssystem
Die Öffnung von Chloridkanälen, sofern sie stattfindet, kann sowohl das Ruhemembranpotential, als auch das Aktionspotential verändern. Das Aktionspotential wird kürzer, das Ruhemembranpotential positiver. Ersteres basiert auf einem Kaliumkanalsynergismus, letzteres auf einem Kaliumkanalantagonismus.
Das Ausmaß der Veränderungen ist abhängig vom Gleichgewichtspotential ECl sowie der Membranleitfähigkeit gCl. Nach Nernst berechnet sich ECl wie folgt:
ECl= -61 mV * lg (aCl außen / aCl innen)
a ist die jeweils intra- bzw. extrazelluläre Aktivität, welche näherungsweise über die Konzentration geschätzt wird. Sei die Konzentration extrazellulär 108-117 mM und intrazellulär 4-8 mM, läge ECl bei -69 bis -90 mV. Unter dieser Bedingung wirken offene Chloridkanäle wie offene Kaliumkanäle: negative Ladungen strömen in die Zelle, was einem Ausstrom von Kalium entspricht. Im Ergebnis führt dies zu einer Stabilisierung des Ruhemembranpotentials.
In vivo ist dies am gesunden Herzen jedoch nicht zu erwarten, da dort gK deutlich größer als gCl ist.
Herzzyklus, EKG
Hyper- und Hypochlorämie haben keinen spezifischen Einfluss auf das EKG. Veränderungen hängen von der Grunderkrankung ab, welche die Störung des Chloridspiegels bedingen.
Exkurs:
Die prozentuale Schwankungsbreite des Chlorids ist erheblich geringer als die des Kaliums. EK schwankt also mehr als ECl. Die mögliche Abbildung einer Kaliumveränderung im EKG hängt von gK ab. Hyperkaliämie erhöht gK, Hypokaliämie senkt den Betrag von EK. Veränderungen von gK führen zu einem Einfluss auf die Repolarisation und in der Folge auf die T-Welle im EKG. Solche Veränderungen sind für Chloridstörungen nicht bekannt. Der Grund:
Kalium muss nach Resorption in den Intrazellularraum transportiert werden. Dieser Transit kann für Zellen, deren Ruhemembranpotential in der Nähe von EK liegt, insbesondere für Zellen des Arbeitsmyokards, ein Problem darstellen. Deshalb hat sich phylogenetisch ein Mechanismus herausgebildet, der dieses Problem auffängt. Das Ruhemembranpotential der Arbeitsmyokardzellen verändert sich bei schwankender Kaliumkonzentration nur wenig. Auf steigende Konzentrationen von extrazellulärem Kalium reagieren die Herzzellen mit gK-Erhöhung, das Ruhemembranpotential bleibt in etwa gleich. Für Chlorid bestand offenbar keine Notwendigkeit, einen solchen Mechanismus zu entwickeln.
Das mag dazu beitragen, dass Veränderungen im Serumchloridspiegel sich nicht im EKG abbilden.
Auch im kranken Herzen wirken sie kaum auf das Gleichgewichtspotential von Chlorid. Eine spezifische Wirkung auf das Herz gibt es nicht; die Symptome der zugrunde liegenden Erkrankung und die daraus folgende Störung des Elektrolythaushaltes bestimmen das klinische Bild.
Pathophysiologie und Pharmakologie
Eine pharmakologische Beeinflussung der Chloridkanäle zur Verbesserung der Herzfunktion ist keine standardisierte klinische Therapie.
Jedoch kann eine hochvolumige Infusion von isotonischer Kochsalzlösung zur Hyperchloridämie führen.